Dienstag, 27. Mai 2014

Volksentscheid Tempelhof

 Dramaturgie einer Niederlage


Der Ausgang des Volksentscheides am 25.5. hat viele Befürworter einer Randbebauung am Tempelhofer Feld schockiert. Sind die Wählerinnen und Wähler unberechenbar geworden, regieren jetzt Initiativen die Stadt? Unfug. Weder zum Tag der Abstimmung noch vorher gab es wirklich eine Mehrheit, die jegliche Bebauung auf dem Tempelhofer Feld ablehnten. Die Menschen stimmten einfach gar nicht über die vorgelegten Alternativen ab. Sie machten Politik.
 
Die Grünen: Zickzack-Kurs und eine "paradoxe Intervention"
 
Bündnis`90/Die Grünen haben in der Auseinandersetzung um Tempelhof schon unterschiedlichste Positionen hinter sich: Nach ihrem Vorschlag im grünen Wahlprogramm für eine IBA im Bereich der Oderstraße, hieß es kurz nach der Wahl: Nicht-Bebauung. Nicht viel später wieder anders: Nachdenken über eine Bebauung am Tempelhofer Damm usw.
 
Nachdem das Volksbegehren von 100 % Tempelhof erfolgreich war, ging es um die Position des Abgeordnetenhauses. Die Fraktionsvorsitzende Antje Kapek war durchaus für eine gemeinsame Haltung der Fraktionen, aber sie war wohl auch treibende Kraft bei dem spektakulären Beschluss der Grünen nachdem der Einigungsversuch gescheitert war. In einer „paradoxen Intervention" riefen die Grünen mit ihrer letzten politischen Schleife zur Abstimmung für den Gesetzesentwurf der Initiative 100 % Thf auf, setzten aber hinzu, dass sie inhaltlich zu einer späteren Korrektur des Gesetzes bereit wäre: "Wir verstehen ein JA (Anm.: zu dem Antrag der Initiative 100 % Tempelhof)  dabei vor allem als Planungs- und Baumoratorium, um in einen wirklichen Dialog über die Zukunft des Tempelhofer Feldes einsteigen zu können." Diese Position zeichnet sich erst einmal durch eine gewisse Laxheit gegenüber einem Volksentscheid aus - umso mehr, wenn man die "Basisorientierung" der Grünen betrachtet, mit der sie gewöhnlich hausieren gehen.
 
Hierfür wurden die Grünen von den Medien in einer ersten Reaktion kritisiert und ihre Position abgetan. Gleichwohl muss man feststellen: Das war das der entscheidende Schritt bei der Mehrheitsbildung. Allerdings entfaltete dieser erst kurz vor dem Wahltag seine Wirkung. Als die Menschen ihre Wahlunterlagen bekommen hatten und sich nun fragten, wofür sie eigentlich stimmen sollten, tat sich das Hintertürchen für ihre Abstimmung auf. Es war nicht mehr "gar nichts bauen" gegen "behutsam die Ränder entwickeln", es hieß nun: "so nicht!" Die Vielen, die nicht für die fundamentalistische Linie der Initiative waren, eigentlich ja auch für den Wohnungsbau, hatten einen Freifahrtschein von der Opposition. Die "Linke", die sich dieser Haltung angeschlossen hatte, verursachte damit auch im Ostteil erhebliche Bewegung. Damit war die Fragestellung des Volksentscheides erfolgreich umgedeutet. Das ist auch der Grund, warum sich die Meinungsumfragen in kürzester Zeit erdrutschartig veränderten - die über lange Zeit stabile Zustimmung für eine Bebauung fiel innerhalb von nicht einmal zwei Wochen um fast 20 %.

Die SPD begibt sich in die Isolation.
 
Die durchaus kampfeslustige, entschlossene und gut organisierte SPD musste im Verlauf der Kampagne sehr bald feststellen, dass sie von ihrem Koalitionspartner CDU lediglich einen lustlose und distanzierte Unterstützung bekam. Seit der Wahl war die SPD bei aller Kritik, die einzelne in der Partei an der Planung hatten, immer als Partei des Wohnungsbaus am Rand des Tempelhofer Feldes aufgetreten. Je mehr das Thema Wohnungsbau die Partei insgesamt dominierte, desto gradliniger wurde die Argumentation. Personifiziert wurde dies durch Stadtentwicklungssenator Michael Müller, der von Anfang bis Ende diese Debatte mit großem Engagement und Überzeugungskraft in der Öffentlichkeit führte. Gestützt wurde der Kurs durch den Landesvorsitzenden Jan Stöß, der aus seiner Position die eine oder andere Attacke gegen die Initiative fuhr. Dass alles dies am Ende nichts half, hatte allerdings seinen Grund: Der Zug hatte seine Richtung geändert. 

Die Schlüsselstellung hatten allerdings die SPD-Fraktion und ihr Vorsitzender. Dies hat vor allem seine Ursache in der Verfahrensweise: Das Abgeordnetenhaus muss über seine Fraktionen bzw. Mehrheiten darüber entscheiden, ob und wie auf ein Volksbegehren zu reagieren sei: Durch eine Ablehnung der vorgelegten Gesetzesinitiative oder durch einen eigenen Entwurf. Der Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses, Ralf Wieland, hatte zu Recht in einem Interview der Berliner Zeitung vom 5. März 2014 gefordert: "Wir sollten vor Volksentscheiden als Abgeordnete frühzeitig Einfluss auf die politische Diskussion nehmen und aktiv in den Prozess der Meinungsbildung eingreifen." 
 
Ohne viel von Politik zu verstehen zu müssen, war zu erkennen: Es ging bei den Verhandlungen um die Position des Abgeordnetenhauses zum Volksbegehren nicht nur um die Entscheidung selbst. Es war nach vielen Jahren des Stillstands der Beziehungen zwischen SPD und Opposition die erste wirkliche Chance zu einer inhaltlichen Annäherung. Es war die Chance, vor allem die Grünen in die Mitverantwortung für den Wohnungsbau und damit für die Stadtentwicklung zu nehmen (wofür es bei den Grünen Anhänger, aber auch Kritiker gibt) und vielleicht sogar die Chance für ein dringend benötigtes überparteiliches Bündnis für das Wohnen in Berlin. Schließlich war es die Chance, die Regierungsoptionen endlich wieder einmal über eine große Koalition hinaus zu erweitern.
 
Diese einzigartige Situation zu nutzen war sicherlich alles andere als einfach, nicht zuletzt wegen der unterschiedlichen Verhandlungskulturen. Sie war aber dennoch nicht unlösbar, die Investition in ein weitgehendes Entgegenkommen wäre lohnend gewesen.  Doch dazu reichte der politische Horizont nicht. Der Fraktionsvorsitzende, gerade damit befasst, mögliche Rivalen aus dem Weg zu räumen, um Spitzenkandidat der SPD zu werden, hielt sich aus taktischen Gründen zurück. Stattdessen schickte er seinen Fraktionsgeschäftsführer - bisher ohne Auffälligkeiten, was das politische Fingerspitzengefühl und das Einfühlungsvermögen in andere Positionen angeht. Damit nahm das Schicksal seinen Lauf, das Scheitern war besiegelt, ohne dass jemand eingeschritten wäre. Für die SPD ein Desaster mit möglicherweise erheblichen Folgen. Nach dem Ende der Verhandlungen kämpfte die SPD wesentlich auf sich selbst gestellt, eine Situation der Isolierung entstand, die selbst durch hohen Einsatz nicht durchbrochen werden konnte.
 

Und die Moral von der Geschichte.

 
Die  Zuspitzung der Tragödie und deren Ausgang hat ihre Wurzeln nicht in einer "Sachfrage", sondern im politischen Raum. Dass es überhaupt zu dieser Entwicklung kam, liegt vor allem in der mangelnden Kultur der Beteiligung und Verständigung der Berliner Politik. Die Initiatoren von 100 % Tempelhof haben schlicht von ihrem Bürgerrecht Gebrauch gemacht. Die Antwort des Senats darauf war vor allem: Rechtfertigung. Doch Recht haben heißt bekanntlich nicht immer, Recht zu behalten. 
 
Die SPD war in einer Rolle, bei der man annehmen kann, dass sie etlichen Genossinnen und Genossen sogar gefiel: Wir sind die Einzigen und die Guten und machen es richtig. Man kann dies allerdings auch mangelndes Gespür für die Stimmung in der Stadt nennen. Da half auch nicht viel das Bündnis, das mit allen geschlossen wurde, die mehr oder weniger natürliche Verbündete des Wohnungsbaus sind. In dieser zugespitzten Situation veränderte der Paradigmenwechsel in der Fragestellung in den Wochen vor der Abstimmung die Stimmung zugunsten der Bebauungsgegner.
 
Dass in Tempelhof nun die Wohnungen nicht gebaut werden, ist nicht schön, aber zunächst einmal nicht zu ändern. Die Grünen werden erleben, dass Sie jetzt häufiger angeschaut werden, wenn es um ihren Anteil an der Verantwortung um den Wohnungsbau geht. Die SPD aber muss sich wieder politisch klar aufstellen. Und zwar bald.